Das Schiff by Brandhorst Andreas

Das Schiff by Brandhorst Andreas

Autor:Brandhorst, Andreas
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-08-31T16:00:00+00:00


45

»Das ist viel zu gefährlich.« Maximilian deutete in den engen Schacht, den Jasper, Newton und Rubens vor einigen Monaten angelegt hatten. Er führte schräg nach unten, in einem Winkel von etwa fünfzig Grad; an den Felswänden befestigte Polymergriffe erleichterten das Klettern. Vierzig Meter weiter unten endete der Schacht an einer Wand des Cluster-Terminals, zwischen der angezapften Hauptschlagader und dem »Hals« unterhalb der Trichteröffnung des Terminals.

»Du musst nur darauf achten, dich gut festzuhalten«, sagte Evelyn. Mit einem einfachen Rucksack auf dem Rücken, darin den Kopf des Faktotums mit Adams Bewusstsein, zwängte sie sich durch die schmale Öffnung in den Schacht. Für zwei oder drei Sekunden baumelten ihre Beine über der Tiefe.

»Das meine ich nicht«, erwiderte Maximilian über ihr. »Der Schacht ist kein Problem. Aber du willst in den Trichterhals des Terminals, und das ist ein Problem. Dort könnte es zu einem … Unfall kommen. Vor Unfällen sind wir nicht geschützt, Evelyn.«

Sie hatte bereits zwei Meter zurückgelegt, im schwachen Licht einer chemischen Lampe, und sah nach oben. »Hast du Angst, Max?«

»Ich bin dreihundertachtundsiebzig Jahre alt und habe mich ans Leben gewöhnt. Ich möchte nicht Opfer eines dummen Unfalls werden.«

Nightingale schob sich an ihm vorbei in den Schacht. »Wir haben keine Wahl, Max. Wenn die Avatare hier eintreffen, werden sie sich nicht damit begnügen, einige Fragen zu stellen und uns dann gehen zu lassen. Außerdem … Dies ist aufregend.«

»Du musst dich jetzt sofort entscheiden, Max.« Evelyn kletterte weiter nach unten und versuchte dabei, nicht mit dem Rucksack gegen die Wand zu stoßen. »Wenn du in deiner Werkstatt bleibst, bekommst du wahrscheinlich Besuch von den beiden Avataren. Unsere kleinen Tricks verschaffen dir höchstens eine Atempause. Sie brauchen Rubens nur ein wenig unter Druck zu setzen, um vom Loch zu erfahren.«

»Rubens würde nie …«

»Ich bin sicher, dass auch ihm an seinem Leben liegt«, sagte Evelyn mit bitterer Entschlossenheit. »Bisher war dies für euch nur ein interessanter Zeitvertreib, aber jetzt wird es ernst, Max, richtig ernst. Du musst dich entscheiden. Entweder lieferst du dich den Avataren aus – und inzwischen dürfte klar sein, was das bedeutet –, oder du setzt dein Leben aufs Spiel.«

Sie hatten einen seltsamen Klang, diese letzten Worte, denn Evelyn begriff plötzlich mit gnadenloser Klarheit, dass sie auch für sie selbst galten. Als sie sich vor mehr als zweihundert Jahren Morgenrot angeschlossen hatte, damals nur eine harmlose Beobachtergruppe, war sie von ihrer Bereitschaft überzeugt gewesen, sich »für die Sache zu opfern«. Aber es blieben Worte, Lippenbekenntnisse, bis sich die Situation veränderte und man an einen Scheideweg geriet, an eine Grenzlinie, von der aus keine Rückkehr in das alte, sichere Leben mehr möglich war. Die eigene Existenz für etwas zu riskieren, fiel schwer genug. Aber ein unsterbliches Leben aufs Spiel zu setzen, viele Tausend Jahre, vielleicht die Ewigkeit …

Nightingale, die immer nach Abenteuer und Romantik gesucht hatte, war die Entscheidung leichter gefallen. In gewisser Weise ging das Spiel für sie weiter, nur mit ein wenig geänderten Regeln. Max hingegen war in erster Linie an den technischen Herausforderungen von Morgenrot interessiert gewesen, kein Revolutionär oder Rebell, sondern ein Bastler.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.